ToDo-Listen – oder das Leben einer Neun*

Ich starre auf meine ToDo-Liste. Da stehen viele Dinge. Ich habe auch wirklich viele Dinge gemacht heute. Seltsam, ich kann nichts abstreichen. Solche Tage gibt’s bei mir öfters. Es sind Tage, an denen ich alles und doch nichts tue. Weil ich viele Dinge tun könnte, aber eigentlich nichts sein muss. Es fällt mir schwer, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen. Wenn ich dann beispielsweise am Samstag um 22 Uhr unter die Dusche husche und mir in den Sinn kommt, dass ich eigentlich noch Zopf backen wollte, dann war es so ein Tag. Der Zopf hat es nicht mal auf die ToDo-Liste geschafft. Oh weia. Ich kann nicht mal verlässliche ToDo-Listen schreiben. 

In der Enneagramm-Sprache sagt man schlicht dazu: Du bist eine Neun. Und es gibt Tage, da bin ich eine furchtbare Neun. Dazu steht im Buch «Wer du bist» ohne Umschweife: «Die Neun ist ohne Liste eine Gefahr für die Menschheit» Ja, so in der Art.

Eine meiner Taktiken ist es, die Dinge hinauszuzögern. Da sollte ich dringend die Wäsche waschen und die bestellten Bräzeli backen, aber was tue ich? Ich rette einer Raupe das Leben. 

Das ist doch auch wichtig, oder? Mein Sohn hat eine Raupe gefunden und sie in ein Glas gesteckt. Nur mit der Nahrung hat es nicht geklappt, er konnte keine Brennnesseln finden. Und als ich nach dem Morgenessen eine Runde ums Haus drehe (das an und für sich ist schon ein Ablenkungsmanöver) sehe ich diese Raupe, die kurz vor ihrem Ende ist. So interpretiere ich das auf jeden Fall und ziehe mit Gartenhandschuhen los, um am benachbarten Zaun nach Brennnesseln zu suchen. Tatsächlich werde ich fündig, fülle das Glas mit dem Futter, stecke zwei Zweige hinein und verschliesse es mit einem Netzli. Dann beobachte ich, ob sich die Raupe bewegt und zu fressen anfinge. In der Zwischenzeit schmeisse ich den Hühnern etwas Körner hin – eine weitere Verzögerung. 

Als die Raupe sich wieder ausrollt und sich über die Brennnessel her macht, besinne ich mich und gehe zurück ins Haus. Jetzt ist doch tatsächlich eine Stunde vergangen! Wo ist sie nur hin?  

Aber seit ich mich mit meiner Neuner-Persönlichkeit auseinandergesetzt habe, kann ich besser damit umgehen. Öpedie dürfen solche Neuner-Tage auch einfach mal sein. Denn in den Tag hineinleben hat auch das Seine. Inzwischen plane ich solche Stunden in meine Woche ein. Slow Time – einfach tun, was einem vor die Füsse fällt. Zeit mit Gott verbringen, in der Natur sein und sich den Luxus gönnen, den Hühner einen Augenblick einfach nur zuzuschauen.
 
Und manchmal bin ich danach doppelt effizient. Denn wenn ich auch die Wäsche lange liegen gelassen habe, dann habe ich sie doch in kürzester Zeit im Schrank. Zum Beispiel während die Kinder am Samstagabend ihre Ämtli machen, duschen und Fingernägel schneiden müssen. Also die Zeit, in der ich anwesend sein muss, um Kommandos im Zehn-Minuten-Takt zu geben: – «geh duschen, bist du fertig? Zähne geputzt?» «Bist du schon am Duschen?» «Machst du bitte etwas schneller?» «Warum liest du, statt zu duschen?» – aber eigentlich nichts zu tun habe. Dabei lässt sich nebenbei schnell und gut die Wäsche falten. Wäre ja blöd gewesen, ich hätte eine ganze Stunde meines Vormittages dafür geopfert.
 
Und so kann ich darüber lachen, wenn Stefan nach der Arbeit nach Hause kommt und zu mir sagt: «Du flickst gerade die Tapeten? Was genau solltest du eigentlich tun?» So schön, dass er mich kennt und trotzdem liebt.
 

*Kennst du das Enneagramm? Ein bewährtes, vielschichtiges Konzept der neun Persönlichkeitstypen. Das Buch «Wer du bist» von Ian Morgan Cron und Suzanne Stabile ist ein wundervoller Einstieg in das Thema. Humorvoll und einfach verständlich. Und nein, es ist nicht esoterisch.

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